Das Rückgrat des Online-Marketings hat ein Ablaufdatum. Die browsergenerierten Dateien, die Userinnen und User im Internet im Auftrag der Werbeindustrie auf Schritt und Tritt verfolgen, soll es bald nicht mehr geben. Wie Online-Marketing nach dem Ende der Cookie-Ära funktionieren wird. – Ein Beitrag aus bulletin, dem für den Tourismus kostenlosen Fachmagazin der Österreich Werbung.
Ein simpler Blogpost von Google Anfang des Jahres 2020 hat die Online-Marketing-Welt in helle Aufregung versetzt. Der Konzern kündigte damals an, in seinem Browser künftig keine Third Party Cookies mehr zu unterstützen. Da Chrome laut aktueller Zahlen von NetMarketShare weltweit einen Marktanteil von knapp 70 Prozent hält, war und ist der Aufruhr unter den Online-Werbern entsprechend groß.
Um das nachvollziehen zu können, ist ein Grundverständnis über Online-Werbung notwendig: Beim Besuch einer Website wird eine kleine Textdatei, das Cookie, vom Browser auf dem Rechner der Nutzerinnen und Nutzer abgelegt. Besucht man dieselbe Website später wieder, sendet der Browser die kleine Textdatei zurück an die Website, die den Besucher dadurch wiedererkennt. Für die Nutzerinnen und Nutzer haben solche First Party Cookies durchaus Vorteile. Zum Beispiel ermöglichen sie, dass ein Warenkorb nach einer Unterbrechung einer Online-Shopping-Session nicht wieder von neuem befüllt werden muss. Diese First Party Cookies dürfte es auch in Zukunft geben. „Ein Web ganz ohne Cookies ist eigentlich undenkbar“, sagt Sonja Schneeweis, Data Driven Media Expert bei der Österreich Werbung. Was Google dagegen abschaffen will, sind die Third Party Cookies.
Diese Third Party Cookies stammen von Drittanbietern wie etwa einem Werbenetzwerk. Diese Tracking-Cookies verfolgen den Weg der Userinnen und User im Internet auf Schritt und Tritt. Mithilfe der gesammelten Daten lassen sich Rückschlüsse auf die Interessen und Bedürfnisse der Menschen ziehen. Das ermöglicht Online-Werbung, die genau auf die jeweilige Person zugeschnitten ist. Das Problem: Mit echtem Datenschutz lassen sich Third Party Cookies kaum vereinen.
„Ein großer Teil des Online-Werbe-Ökosystems basiert auf Third Party Cookies“, weiß Schneeweis. Wie wichtig die Rolle der Drittanbieter-Cookies ist, zeigt sich auch daran, dass Google die selbst gesetzte Frist für das Ende der Werbecookies in Chrome erst kürzlich auf das Jahr 2023 nach hinten verschoben hat. Offenbar schafft es der Internetriese selbst nicht so schnell, auf Third Party Cookies zu verzichten und Alternativen anzubieten, die auch weiterhin zielgerichtete Online-Werbung erlauben.
Wirklich überraschend kommt das Ende der Drittanbieter-Cookies nicht. „Es muss der gesamten Branche seit Jahren klar sein, dass Online-Werbung, die auf Third Party Cookies basiert, nicht mehr wie gewohnt weiterbestehen kann“, sagt Schneeweis. Sie verweist auf drei Faktoren: Immer mehr Userinnen und User verwenden Software, die Tracking-Cookies blockiert („Adblocker“). Browser wie Firefox und Safari schieben Third Party Cookies in den Standardeinstellungen schon jetzt den Riegel vor. Auch das gesetzliche Korsett wird immer enger: Schon seit einigen Jahren müssen Website-Betreiber Besucherinnen und Besucher darauf hinweisen, dass Third Party Cookies im Einsatz sind. Im Oktober 2019 stellte der Europäische Gerichtshof außerdem klar, dass diese Zustimmung „aktiv und freiwillig“ zu erfolgen hat. Ein simpler Hinweis „diese Website verwendet Cookies“ reicht seitdem nicht mehr. Die Userinnen und User müssen ein klares „Ja, ich will“ ankreuzen. Immer mehr wollen aber nicht.
Diese drei Faktoren führen dazu, dass die Menge der Daten schrumpft, die sich über Third Party Cookies sammeln lassen. „Wenn die Datenmenge sinkt, leidet die Qualität der getroffenen Aussagen“, mahnt Schneeweis. Die Knappheit kann dazu führen, dass es für manche Kampagnen schier an der Menge an notwendigen Daten fehlt. Der Expertin fallen aber noch weitere Schattenseiten von Online-Werbung mit Third Party Cookies ein: „Die Technologie liefert Daten aus der Vergangenheit, weil sie sich auf Aktionen bezieht, die der User bereits gesetzt hat.“ Für die Werber viel interessanter wäre es zu wissen, was der Nutzer tun wird. „Mithilfe von Third Party Cookies ist wirkungsvolles Empfehlungsmarketing zwar prinzipiell möglich, in der Praxis wird das aber kaum gut umgesetzt“, erklärt Schneeweis. In der Vergangenheit wurden über Third Party Cookies generierte Daten oft sehr einfallslos eingesetzt – so wie etwa beim Retargeting. Dabei bekommen Userinnen und User Online-Werbung von Produkten zu sehen, für die sie sich selbst zuvor in einem Webshop interessiert oder nach dem sie gesucht haben. Vielfach haben die Werbetreibenden bei solchen Retargeting-Kampagnen den Aufwand gescheut, die tatsächlichen Käufer auszusortieren. Das Ergebnis: Die Werbebotschaft bekommen auch jene, die das beworbene Produkt bereits gekauft haben. Viel weniger relevant kann Werbung eigentlich nicht mehr sein.
Die Aufregung der Online-Werbebranche über das Ende der Third Party Cookies ist auch vor diesem Hintergrund vermutlich übertrieben. Bereits heute existieren Alternativen, die teilweise sogar besser funktionieren. Schneeweis verweist etwa auf semantisches Targeting, das sich auch für den Tourismus sehr gut eignet: Dabei legt der Werbetreibende zunächst bestimmte Keywords fest – etwa „Rennradfahren“ und „Alpenpässe“. Die Botschaft des Werbetreibenden erscheint in Artikeln, die diese enthalten. (In der Praxis kommen dabei natürlich viele Keywords zum Einsatz.) Schneeweis verweist auf zwei wesentliche Vorteile dieser Methode: „Der User bekommt genau dann die relevante Werbebotschaft zu sehen, wenn er sich für das Thema interessiert.“ Außerdem wäre das Speichern personenbezogener Daten bei semantischem Targeting nicht notwendig. „Diese Methode funktioniert auch umgekehrt, also nach dem Ausschlussprinzip“, sagt die Expertin. Dabei kann der Werbetreibende Keywords und damit Umfelder festlegen, in denen seine Werbung nicht erscheinen soll.
Laut Schneeweis bieten auch Predictive-Lösungen für den Tourismus interessante Möglichkeiten. Diese Methode verbindet statistische und technische Daten miteinander, um die Userinnen und User genau dann anzusprechen, wenn sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit für ein Service oder Produkt interessieren. „Damit ist es etwa möglich, an alle Sommerurlauber in einer bestimmten Region Werbung für das lokale Hallenbad auszuspielen, wenn das Wetter gerade viel zu schlecht für Outdooraktivitäten ist“, schildert Schneeweis. Möglich wird dies durch die Kombination von Geo- und Wetterdaten. „Bei Predictive-Lösungen muss man sich aber genau überlegen, welche Daten man miteinander verknüpft, um eine für den Absatz des Produkts günstige Situation erkennen zu können“, gibt Schneeweis zu bedenken. Die Methode ist derzeit wie semantisches Targeting auch etwas aufwendiger als das klassische Targeting und Retargeting, das auf Third Party Cookies basiert.
Eine weitere moderne Online-Marketing-Technologie sind sogenannte Identity-Lösungen. Hier wird mit (anonymisierten) User-IDs gearbeitet. Das heißt, die Userinnen und User werden sehr wohl identifiziert, aber eben ohne Cookies. Diese Methode setzt allerdings voraus, dass sich die Benutzer beim jeweiligen Webangebot einloggen oder im CRM-Datenbestand des jeweiligen Publishers vorhanden sind. „Hier gibt es mehrere Spielweisen. Manche Plattformen arbeiten mit E-Mailadressen bzw. Login-Daten, andere mit den Mobile-IDs der Devices“, erklärt Schneeweis. Eines bleibt immer gleich: Die jeweiligen Angebote müssen einen echten Mehrwert bieten, damit die Nutzerinnen und Nutzer sich auch tatsächlich registrieren und einloggen. Noch befindet sich diese Targeting-Methode in einem sehr frühen Stadium. „Das Konzept ist da und funktioniert, bis es von allen Marktteilnehmern ausgerollt und implementiert ist, wird es aber noch dauern“, sagt Schneeweis.
Eine Methode, die heute schon etabliert ist, setzt auf First Party Cookies anstelle der verpönten Third Party Cookies. Und das funktioniert so: Ein Angebotsanbieter, zum Beispiel eine Tageszeitung, setzt – wie im Weballtag üblich – bei Besucherinnen und Besuchern seiner Website ein First Party Cookie. Dieses First Party Cookie wird von externen Werbetreibenden mitgenutzt, allerdings bleiben die Daten beim Websitebetreiber. Das Targeting basiert also auf den Aktivitäten, die die Userinnen und User auf dem Angebot der Tageszeitung setzen. Über mehrere Domains hinweg werden sie nicht „verfolgt“. „Das ist aktuell ein guter Workaround, um Third Party Cookies zu vermeiden und dennoch zielgruppengerechtes Targeting zu ermöglichen“, sagt Schneeweis. Ob diese Methode das Ende der Cookies überdauern kann, wird sich zeigen.
Google selbst arbeitet schon fieberhaft an Alternativen zu Tracking-Cookies. Mit der Initiative „Privacy Sandbox“ will der Konzern Standards für Online-Werbung schaffen, die einerseits den Wunsch nach Privatsphäre der Userinnen und User und andererseits das Bedürfnis der Werbetreibenden nach maximaler Information unter einen Hut bringen sollen. Einen vielversprechenden neuen Ansatz, der Third Party Cookies ersetzen soll, testet Google bereits in den USA: „Federated Learning of Cohorts“ – kurz FLOC – bildet mithilfe der im Browser gespeicherten Historie Gruppen mit ähnlichen Interessen; die so genannten FLOCs. Damit lässt sich zwar keine auf die einzelne Person zugeschnittene Werbung ausspielen, wie das mit Third Party Cookies möglich ist. Google betont allerdings, dass FLOC im Test etwa 95 Prozent so effektiv sei wie Third Party Cookies.
„Die Werbetreibenden müssen jetzt selbst oder auch mithilfe ihrer Agentur herausfinden, welche der Alternativen für ihre Zwecke die beste ist“, rät Schneeweis. Sie ist davon überzeugt, dass die Relevanz von Online-Werbung durch das baldige Aus von Tracking-Cookies keinen Schaden nimmt. „Online-Werbung wird in Zukunft mit mehr Vor- und Denkarbeit verbunden sein“, ist die Expertin überzeugt. Einen positiven Aspekt sollte der technologische Umbruch auf jeden Fall mit sich bringen: Mit dem Aus des auf Third Party Cookies basierenden Retargetings sollte niemand mehr von Werbung zu Produkten verfolgt werden, die er oder sie schon längst gekauft hat.
Beim neta:talk „Cookieless Future“ auf den Österreichischen Tourismustagen diskutierten Expertinnen und Experten die Zukunft des Online-Marketings.