© ViennaTouristBoard/Albertina Wien

Nackte Tatsachen im Tourismus

Nackte Tatsachen im Tourismus

Brüste, Beine, Schamhaare – wo hört Kunst auf, wo fängt Pornografie an? Und wie kann man aus dieser historischen Debatte Marketing-Kapital schlagen? Die Antwort lieferte WienTourismus in einer viel beachteten Social-Media-Aktion auf der 18+ Plattform OnlyFans. – Ein Beitrag aus bulletin, dem für den Tourismus kostenlosen Fachmagazin der Österreich Werbung.

Sie ist 11 Zentimeter groß, 30.000 Jahre alt, eine der bekanntesten heimischen Skulpturen und wurde wieder und wieder von Facebook blockiert. Denn: Die Venus von Willendorf ist eindeutig nackt und das verzeiht der Algorithmus nicht. Sie befindet sich damit in guter Gesellschaft. Immer wieder sehen sich Wiener Museen damit konfrontiert, dass Bilder ihrer Kunstwerke auf den großen Social-Media-Plattformen als „unangemessen“ eingeordnet und gesperrt werden. WienTourismus nahm das zum Anlass für eine Aktion, die international für Aufsehen sorgte. In Kooperation mit der Albertina, dem Kunsthistorischen Museum, dem Naturhistorischen Museum und dem Leopold Museum wurden Kunstwerke von Klimt, Schiele, Tizian, Rubens und zahlreichen weiteren Meistern auf einem offiziellen Account auf der Plattform OnlyFans gepostet. Alle Kunstwerke verband die Nacktheit ihrer Motive.

Wie viel Nacktheit halten wir aus

OnlyFans funktioniert ähnlich wie Instagram. Mit dem Unterschied, dass die Plattform ihren Content-Creators erlaubt, exklusive Inhalte über Abomodelle zu vertreiben. Dieser Content ist – nicht immer, aber sehr häufig – sexueller Natur. Zuletzt setzte ein regelrechter Hype um die weltweit 150 Millionen registrierte Nutzer zählende Plattform ein.

„In den sozialen Medien bestimmen Algorithmen, wie viel Nacktheit gezeigt werden darf, und zensieren dabei nicht selten Werke des internationalen Kunstkanons. Wir stellten daher die Frage, wie viel Nacktheit wir aushalten und wer bestimmen kann, was wir als anstößig empfinden“, erklärt Claudia Wieland, Leiterin der Abteilung Brand Management bei WienTourismus, die Motivation hinter der Idee: „Wien ist eine Kulturmetropole, die für Offenheit steht und in der Aktkunst gesellschaftspolitisch und künstlerisch Platz hat. Deswegen waren wir von Anfang an von der Idee begeistert.“

Ein außergewöhnlicher Erfolg

Unter dem Titel „Vienna strips on OnlyFans“ eröffnete WienTourismus einen OnlyFans-Kanal für nackte Kunst, die man in Wien live erleben kann, und die im Social Web bisher der Zensur zum Opfer gefallen war. Ironie der Geschichte: Bei der Bewerbung des Kanals auf den namhaften Plattformen stand wieder deren Prüderie im Weg. Twitter lehnte sämtliche Sujets ab. Facebook und Instagram erlaubten Werbemittel mit der Venus von Willendorf nach einer genaueren Prüfung zwar, Sujets von Egon Schiele und Peter Paul Rubens wies man aber als „nicht jugendfrei“ und „pornografisch“ zurück. Den Siegeszug der Aktion konnte das freilich nicht stoppen.

„Das mediale Echo war überwältigend“, sagt Wieland. Es erschienen mehr als 2.800 Artikel. The Guardian berichtete ebenso wie die New York Times und Le Figaro. Und der amerikanische Comedian Stephen Colbert besprach die Kampagne vor einem Millionenpublikum in seiner The Late Show. Wieland: „Die weltweite Berichterstattung rückte Wien in den Mittelpunkt der globalen Aufmerksamkeit. So konnten wir zeigen, dass Wien nach wie vor eine lebendige Kulturmetropole ist.“

© ViennaTouristBoard/Albertina Wien

Was gilt es zu beachten, wenn man sich auf eine Plattform wie OnlyFans traut? Ein Blick hinter die Kulissen von „Vienna strips on OnlyFans“.

Jung-von-Matt-Kreativdirektor Michael Morgenbesser und Claudia Wieland, Leiterin Brand Management bei WienTourismus erklären, wie sie die Aktion auf OnlyFans angelegt haben.

  1. Es geht um die Botschaft
    Sich als Stadt auf einer Plattform zu präsentieren, die gemeinhin eher mit 18+ Inhalten assoziiert wird, erfordert Mut. Darf man so etwas überhaupt? Allerdings, sagt Claudia Wieland. Zumindest, wenn die Botschaft passt. „Wir waren von Beginn an von der Idee begeistert, weil sie eben nicht nur das Potenzial hatte, für Aufmerksamkeit zu sorgen, sondern uns auch eine wichtige Botschaft transportieren ließ“, so Wieland. Dennoch: „Wichtig bei der Umsetzung solcher Konzepte ist, sich wirklich gut vorzubereiten und alle Schritte mit viel Fingerspitzengefühl und Bedacht zu planen.“
     
  2. Die richtige Portion Tabubruch
    Tabus in Frage zu stellen, dabei aber nicht verletzend zu werden, ist nicht immer einfach. Das weiß auch Michael Morgenbesser: „Tabubrüche sind immer differenziert zu betrachten. Es gibt Tabus, die wir nie brechen würden, weil dieser Bruch jemanden in seinen Einstellungen verletzen könnte.“ Das sei bei der Wien Tourismus-Kampagne aber nicht der Fall gewesen. „OnlyFans war nur auf den ersten Blick ein Tabubruch. Denn im Grunde geht es darum, die Frage zu stellen, wer das Recht hat, darüber zu entscheiden, ob Kunst zu freizügig ist, oder nicht. Und wir glauben: Ein Algorithmus sollte diese Frage nicht beantworten, sondern der Diskurs der Menschen. Wenn der in der Welt von Social Media ,nur‘ auf OnlyFans stattfinden kann, dann gehen wir mit dieser Frage eben dorthin.“
     
  3. Den Hype für sich nutzen
    OnlyFans ist ein Trend, der in der Werbebranche schon länger aufmerksam beobachtet wird. „Die Plattform ist für uns interessant, weil sie die Prüderie von so großen sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram aufbricht und damit enorm erfolgreich ist“, erklärt Morgenbesser. Auch abseits der gängigen Kanäle zu denken, Trends zu beobachten und sie für sich zu nutzen, ist generell eine gute Idee, ist Morgenbesser überzeugt: „Wir setzen uns grundsätzlich mit Trends und Entwicklungen im Zeitgeist auseinander.“