Nachhaltigkeit in Österreich: Sanfter Alpintourismus in den Bergsteigerdörfern

Nachhaltigkeit in Österreich: Sanfter Alpintourismus in den Bergsteigerdörfern

Wie kann nachhaltiger Tourismus im Alpenraum gelingen? Die Bergsteigerdörfer zeigen es vor: Sie vereinen Ursprünglichkeit und alpine Tradition inmitten einer intakten Natur- und Kulturlandschaft.

Die Alpen sind ein vom Klimawandel besonders stark betroffener, sensibler Lebensraum. Ihn zu bewahren und zu schützen hat sich die Alpenkonvention als internationaler Vertrag seit 1991 zum Ziel gesetzt: Gemeinsam mit der EU fördern die acht Alpenländer die nachhaltige Entwicklung dieser einzigartigen Gebirgskette im Herzen Europas. Die Bergsteigerdörfer spielen dabei eine zentrale Rolle, indem sie die Alpenkonvention mit Leben füllen und auf kommunaler Ebene umsetzen.

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Lebensraum Alpen

Der Alpenbogen bedeckt eine Fläche von ca. 190.000 km2 und zieht sich über eine Länge von 1.200 km von den französischen Seealpen bis zu den Karawanken. Der höchste Gipfel ist der Mont Blanc mit 4.807 m. Insgesamt leben mehr als 14 Millionen Menschen in acht Ländern in diesem Raum. Obwohl die Alpen nur 2 % der Fläche des Kontinents bedecken, beherbergen sie rund 40 % der europäischen Pflanzenvielfalt, etwa 30.000 Tier- und 13.000 Pflanzenarten kommen hier vor. Bemerkenswert ist auch der Wasserreichtum der Alpen. Aufgrund des dichten Netzwerks an Gletschern, Bächen, Flüssen, Seen und Mooren gelten sie als das „Wasserschloss“ Europas.

Bild: Perimeter der Alpenkonvention

Michaela Landauer hat mit Marion Hetzenauer vom Österreichischen Alpenverein gesprochen, die in der Abteilung Raumplanung und Naturschutz für die Initiative Bergsteigerdörfer verantwortlich zeichnet.

Die Bergsteigerdörfer sind ein Vorzeigeprojekt für nachhaltigen Tourismus im Alpenraum. Wie kam es zu dieser Initiative und was steckt dahinter? 

Die Initiative Bergsteigerdörfer wurde 2008 vom Österreichischen Alpenverein in Zusammenarbeit mit dem damaligen Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft angestoßen. Sie war das Ergebnis einer Entwicklung, die gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts begonnen hat. So hat der „Club of Rome“ bereits 1972 über die „Grenzen des Wachstums“ berichtet und auf die Notwendigkeit eines ökologischen und ökonomischen Gleichgewichts hingewiesen. Hauptziel der Bergsteigerdörfer war und ist die Umsetzung eines sanften, naturnahen Tourismus, der u.a. ohne technische Aufstiegshilfen und Groß-Hotellerie auskommt und den dörflichen Charakter bewahrt.

Was macht einen Urlaub in einem Bergsteigerdorf so besonders und nachhaltig?

Die Bergsteigerdörfer leben das Prinzip des „Weniger ist mehr“: Sie kehren mit ihrer Devise „langsamer, tiefer, sanfter“ den olympischen Gedanken um, setzen auf Entschleunigung und gehen touristisch neue Wege. Wer zu uns kommt, findet aktive Erholung im Einklang mit der Natur, ganz ohne Hektik und abseits des Massentourismus. Auch der Genuss auf hohem Niveau kommt nicht zu kurz. Unsere Stärke ist aber vor allem auch die alpine Kompetenz: Bewirtschaftete Schutzhütten, gut aufbereitete Informationen, bestens ausgebildete Bergführer:innen und ein durchgehendes beschildertes Wegenetz sind beispielsweise zentrale Faktoren in einem Bergsteigerdorf.

Neben den ökologischen Aspekten wie Naturbelassenheit, nachhaltiger Mobilität und Infrastruktur beziehen die Bergsteigerdörfer aber auch die soziale und die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit in ihre Philosophie mit ein. Die Einbindung der lokalen Bevölkerung ist gelebter Alltag, die teilnehmenden Gemeinden sind somit auch Alpinpioniere in Sachen Partizipation. Und in wirtschaftlicher Hinsicht tragen die Bergsteigerdörfer dazu bei, das touristische Potenzial durch den Erhalt von Arbeitsplätzen und die lokale Wertschöpfung zu nutzen.

Wie viele Dörfer gibt es bereits und in welchen Ländern sind sie zu finden? Sind dem Wachstum auch Grenzen gesetzt?

Im Gründungsjahr 2008 waren 16 Orte mit dabei, aktuell sind es 40 und bis Ende 2025 werden es 43 sein. Sie liegen in fünf Ländern: Österreich, Deutschland, Slowenien, der Schweiz und Italien.

Zu den Grenzen des Wachstums möchte ich sagen, dass es in Österreich aktuell 22 Dörfer gibt, hier ist das Potenzial bereits mehr oder weniger ausgeschöpft. Wir sind daher sehr zurückhaltend, was die Aufnahme weiterer Dörfer betrifft. Die anderen vier teilnehmenden Länder sind allerdings erst vor wenigen Jahren dazugekommen, besonders in Slowenien und der Schweiz gibt es hier noch viel Potenzial. In Frankreich hingegen ist der Alpenverein anders strukturiert, eine Teilnahme französischer Dörfer ist daher aus heutiger Sicht wenig wahrscheinlich.

An wen richtet sich das Angebot der Bergsteigerdörfer, was beinhaltet es und wie wird es angenommen?

Zielgruppe sind alpinbegeisterte Personen, die sportliche Aktivität schätzen und sich ganz bewusst für einen nachhaltigen, ressourcenschonenden Urlaub entscheiden. Wandern, Bergsteigen, Klettern, Bouldern, Mountainbiken, Skitouren, Schneeschuhwandern, Langlaufen oder Rodeln sind die zentralen Angebote, die über das ganze Jahr verteilt in Anspruch genommen werden können. Ergänzend werden geführte geologische oder ornithologische Wanderungen, Besuche von Bergwerksstollen, Museen und alten Werkstätten angeboten. Bewusstseinsbildung und Wissensvermittlung haben in den Dörfern einen hohen Stellenwert.

Laut einer quantitativen Umfrage von September 2023 äußern die Urlaubenden eine sehr hohe Zufriedenheit mit ihrem Aufenthalt und vergeben bessere Zufriedenheitswerte als der Durchschnitt der Gäste in anderen österreichischen Destinationen.

Welche Kriterien muss ein Dorf erfüllen, um die Bezeichnung Bergsteigerdorf führen zu dürfen, und welche Vorteile bringt die Teilnahme an der Initiative mit sich?

Interessierte Gemeinden müssen für die Aufnahme eine Reihe von Kriterien erfüllen. Entscheidend sind unter anderem die Lage im alpinen Raum, die Kleinheit (max. 2.500 ständige Einwohner:innen), eine bodenständig gebliebene Tourismusinfrastruktur und unverbaute Berggipfel. Auch die alpine Tradition und die bereits genannte Kompetenz sind wichtige Faktoren. Die umfangreichen Aktivitätsangebote kommen ohne technische Hilfsmittel aus und sind auf aktive Erholung ausgelegt.

Die Teilnahme an der Initiative bringt einige Vorteile mit sich: Zum einen findet im internationalen Netzwerk der Bergsteigerdörfer ein Austausch statt, die Dörfer inspirieren sich gegenseitig und lernen voreinander. Zum anderen gewinnen Bergsteigerdörfer sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene an Sichtbarkeit. Über die Alpenvereine der beteiligen Länder können über 2,5 Millionen Mitglieder erreicht werden, die genau der touristischen Zielgruppe der Bergsteigerdörfer entsprechen.

Im Sinne einer positiven Fehlerkultur: Welches sind eure Learnings seit der Gründung der Bergsteigerdörfer?

Da möchte ich gerne drei Punkte anführen. Zum einen ist es bereits vorgekommen, dass Dörfer auch wieder ausgestiegen sind bzw. ausscheiden mussten, da sie die Kriterien nicht mehr erfüllt haben. Eine Gemeinde hat sich beispielsweise für den Ausbau des Skigebiets und den Bau eines großen Hotels entschieden, was letztlich zum Ausschluss führte. Das war damals eine harte Entscheidung und ein großer Schritt, der uns aber einen Gewinn an Glaubwürdigkeit eingebracht hat. Seit 2016 gibt es nun ein Austrittsprozedere: Alle drei Jahre fordern wir von unseren Partnern ein neues Bekenntnis zur Teilnahme an der Initiative. Es ist auch schon vorgekommen, dass eine Mitgliedschaft nicht verlängert wurde.

Ein weiteres Learning: Es ist wichtig, im operationellen Bereich von Anfang an gemeinsame Strukturen zu etablieren, damit sie von allen Ländern mitgetragen werden. Ressourcen zu bündeln, macht viel mehr Sinn, als dass jeder sein eigenes Regelwerk aufstellt. Und schließlich, als drittes großes Learning, ist es wichtig, die Initiative nicht an einer einzigen Person im Ort zu verankern, sondern die Beteiligung und Verantwortlichkeit breiter aufzustellen. Wenn nämlich aus irgendeinem Grund diese zentrale Person wegbricht, also beispielsweise ein begeisterter Bürgermeister in Pension geht, dann schläft auch das ganze Thema vor Ort ein. Je mehr die Bevölkerung eingebunden ist, desto besser.

Mit welchen Herausforderungen sehen sich die Bergsteigerdörfer konfrontiert?

Da gibt es verschiedene Themen, die uns beschäftigen. Abwanderung und die Überalterung der Bevölkerung in den Dörfern zum Beispiel und, damit einhergehend, der Verlust von wichtiger Infrastruktur wie z.B. Volksschulen, wodurch sich junge Familien nicht mehr ansiedeln. Aber auch die Infrastruktur am Berg muss erhalten und gewartet werden – mit den steigenden Starkregenereignissen wird das immer präsenter. Naturgefahrenmanagement ist also ein großes Thema, dazu gehört auch der klimawandelbedingte Rückgang der Gletscher und des Permafrosts. Und in touristischen Hotspots steht auch die Einführung von Besucherlenkung und Parkraumbewirtschaftung im Raum.

Ein weiterer großer Punkt ist die Frage der nachhaltigen Mobilität. Drei Viertel der Emissionen im Urlaub entstehen durch die Anreise, das ist also ein großer Hebel und hier liegt noch viel Potenzial für nachhaltige Angebote. Es gibt bereits tolle innovative Lösungen, auch im Bereich der Mikro-Mobilität. Oft sind es dann aber auch einfach individuelle und zwischenmenschliche Lösungen, wie z.B. dass die Unterkunft die Abholung vom Bahnhof oder den Transport zum Startpunkt der Tour organisiert. Nicht zuletzt möchte ich auch noch die drohende Gefahr des Verlusts der biologischen Vielfalt nennen. Umso wichtiger ist also die Sensibilisierung der Gäste für den Klimaschutz.

Welches Bild zeichnest du für die Zukunft des Tourismus im Alpenraum?

Ich denke, dass es den Massentourismus auch in Zukunft geben wird. Aber ich sehe auch, dass Nachhaltigkeit von den Gästen, vor allem in ländlichen Gebieten, immer mehr eingefordert und nachgefragt wird, und würde mir wünschen, dass dieser Trend weiter zunimmt. Aufgrund der klimabedingt steigenden Temperaturen bin ich zudem auch der Meinung, dass die Nachfrage nach Urlaub in kühleren Destinationen wie den Alpen steigen wird.


Mit der Rubrik "Nachhaltigkeit in Österreich" möchte die Österreich Werbung bewusst inspirierende Initiativen, Regionen und Betriebe vor den Vorhang holen. Wir gratulieren den Bergsteigerdörfern zu dieser gelungenen Umsetzung des sanften Tourismus und wünschen weiterhin viel Erfolg!