Nachhaltigkeit global: Visit Greenland

Nachhaltigkeit in anderen Ländern: Im Gespräch mit Visit Greenland

Viele Branchen in Grönland, darunter auch der Tourismus, haben politische Maßnahmen zum Thema Klima und Nachhaltigkeit gefordert. Indem Grönland dem Pariser Abkommen beigetreten ist, signalisiert die grönländische Regierung, dass der Fokus in Zukunft auf den Herausforderungen des Klimawandels liegen wird und dass das Land Teil einer globalen Antwort sein möchte. Im Gespräch mit Stine Selmer Andersen, Head of Sustainability bei Visit Greenland, ging es um die Strategien und Ansätze der nationalen Tourismusorganisation Grönlands.

Grönland ist flächenmäßig die größte Insel der Welt, die keinen eigenen Kontinent bildet. Die Gesamtfläche des Landes beträgt 2,16 Millionen Quadratkilometer und umfasst weitere Inseln vor der Küste. Beinahe 80 Prozent der Landmasse sind von einer Eiskappe bedeckt. Mit einer Einwohnerzahl von knapp 57.000 Menschen zählt Grönland zu den am wenigsten dicht besiedelten Ländern der Welt. Im Gespräch mit Stine Selmer Andersen, Head of Sustainability bei Visit Greenland, beschreibt sie die Wahrnehmung Grönlands in den Augen der Reisenden als eine „see while you can“-Destination. Während die Naturlandschaft mit ihren Eisbergen zu den USPs des Landes zählt, sind eben diese Eisberge und ihr Schmelzen der Beweis für den Klimawandel.

Die Corona-Pandemie hat die Tourismusindustrie Grönlands zusätzlich hart getroffen. Im Jahr 2020 wurden etwa 70% weniger Gäste in Grönland verzeichnet (Fluganreise), Kreuzfahrten gab es in diesem Sommer gar keine. Während im Jahr 2019 noch 127.051 Nächtigungen in Grönland verzeichnet wurden (exkl. Kreuzfahrtgäste), waren es 2020 nur 43.439 Nächtigungen.

Herausforderung der Anreise

Grundsätzlich kommen etwa 45% der Tourist*innen Grönlands mit Kreuzfahrtschiffen, die restlichen Gäste reisen mit dem Flugzeug an. Das macht die Mobilitätsfrage zu einer zentralen Herausforderung im Bereich der Nachhaltigkeit. Hier kommt einerseits das Thema der sozielen Verträglichkeit ins Spiel, da 3.000 Kreuzfahrtgäste in einem Ort mit lediglich 1.500 Einwohner*innen eine infrastrukturelle Herausforderung darstellen. Zusätzlich sind die Tagesausgaben, von denen tatsächlich die lokale Bevölkerung profitiert, minimal. Ein erster Ansatz ist die Fokussierung von so genannten „Expedition Cruises“. Hier wird nicht nur auf nachhaltige Treibstoffe bei den Schiffen selbst gesetzt, zusätzlich kommen oftmals Eisbrecher als Kreuzfahrtschiffe zum Einsatz, die einerseits eine geringere Anzahl von Passagieren befördern, andererseits aber auch Zugänge zu Häfen für andere Schiffe ermöglichen, die von wirtschaftlicher Bedeutung für die Region sind.

Tourismusgesinnung des Landes

Im Februar 2021 führte Visit Greenland seine zweite Umfrage unter grönländischen Einwohner*innen zu ihrer Einstellung gegenüber dem Tourismus des Landes durch. Die erste, im November 2019 durchgeführt, zeigte, dass die Bevölkerung im Allgemeinen eine sehr positive Wahrnehmung von Gästen im Land hat. Die zweite, im Februar 2021, präsentierte - etwas überraschend -, dass die Einstellung generell positiver geworden ist. Zum Zeitpunkt der zweiten Umfrage war der Zugang zu Grönland aus dem Ausland nach wie vor auf "Behördenflüge" beschränkt (nur grönländische Einwohner*innen und essentielle Arbeitnehmer*innen aus dem Ausland durften nach Grönland fliegen).

Die Umfragen zeigen nicht nur, dass es eine große Unterstützung für die Tourismusindustrie im Allgemeinen gibt, sondern auch, dass die meisten Menschen darauf vertrauen, dass die Gäste die zu dem Zeitpunkt aktuellen COVID-19 Beschränkungen einhalten. Der leichte Anstieg der Unterstützung wird als Zeichen dafür interpretiert, dass die lokale Bevölkerung während der Pandemie ein verstärktes Bewusstsein für die wirtschaftliche Bedeutung der Tourismusindustrie für die grönländische Gesellschaft gewonnen hat.

Nachhaltigkeitsstrategie

Aktuell arbeitet Visit Greenland zusammen mit den sechs regionalen Tourismusverbänden und anderen involvierten Stakeholdern aus Politik und Wirtschaft an einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Da die Wertschätzung auf politischer und institutioneller Ebene für die Bedeutung der Tourismusindustrie in Grönland gestiegen ist, kann hier auf eine stärkere Beteiligung gehofft werden. Die vier zentralen Ziele dieser Strategie wurden von Stine Selmer Andersen folgendermaßen definiert:

  • Verstärkter Fokus auf „adventure tourists“ (Bewusstsein für die Auswirkungen des Reisens auf Natur und Kultur, höhere Ausgaben)
  • Entzerrung der touristischen Saison (aktuell kommt der Großteil der Gäste in den Sommermonaten, der Juli 2022 und 2023 ist in den Hotels bereits ausgebucht)
  • Wissensaustausch und Kompetenzentwicklung (mehr Daten lassen bessere Rückschlüsse zu, Tourismusausbildung als wichtiger Hebel um die lokale Bevölkerung bestmöglich zu involvieren und so auch die Tourismusgesinnung weiter zu steigern)
  • Schaffen von ausgewogenen Rahmenbedingungen für den Tourismus (durch entsprechende Gesetzesänderungen, Beteiligung an internationalen Projekten und Nachhaltigkeits-getriebenen Partnerschaften)

Die Umsetzungsmaßnahmen dieser Ziele und ihre Messbarkeit werden aktuell erarbeitet.

Mehr Informationen finden Sie auf der B2B-Seite von Visit Greenland sowie hier zu Tourismusstatistiken des Landes

Dieser Austausch mit Visit Greenland stellt den Auftakt einer Gesprächsreihe mit anderen nationalen Tourismusorganisationen zum Thema Nachhaltigkeit dar. Danke an die Kollegen Norbert Lerch und Anders Olesen aus dem ÖW-Büro in Kopenhagen für die Organisation.