Durch seine infrastrukturellen Voraussetzungen gilt das Kaunertal schon lange als Vorbild für barrierefreie Urlaubsangebote. Der Pionier des ersten rollstuhlgerechten Hotels in den Alpen, Karl Hafele, berichtet über das Tal, das sich in den letzten Jahren nicht nur als Benchmark für soziale Nachhaltigkeit, sondern auch für ökologische Maßnahmen herauskristallisiert hat.
Die Geschichte des barrierefreien Tourismus im Kaunertal nahm bereits in den frühen 1980er Jahren Fahrt auf, als der Kaunertaler Gletscher erschlossen wurde. Dies bot Rollstuhlfahrer:innen und anderen Gästen die einzigartige Möglichkeit, mit dem Auto bis auf 2.750 Meter Höhe direkt an die Skipiste zu gelangen. Breite Pisten und ausgedehnte Schlepplifte schufen ideale Bedingungen für das Erlernen des Monoskifahrens, wie Hotelier Hafele betont. Bereits damals entschieden sich viele Monoskifahrende für einen Aufenthalt im Hotel Weisseespitze. Das Hotel verfügte zu dieser Zeit bereits über eine Parkgarage, einen Aufzug und Zimmer, die größer waren als der Standard. Auch die Badezimmer waren so gestaltet, dass „aktive, sportliche Rollstuhlfahrende sich bereits relativ gut zurechtfinden konnten,“ erläutert Hafele. Diese infrastrukturellen Voraussetzungen machten das Kaunertal in den 1990er Jahren zu einem Magnet für Monoskifahrende aus ganz Europa.
Karl Hafele übernahm das Hotel 1989 und erkannte in einer Zeit, in der die „faire Hotellerie noch ein relativ schwaches Angebot war,“ wie er selbst hervorhebt, die Bedürfnisse der Gäste. Bis zum Jahr 2000 baute er das Hotel Weisseespitze zum ersten „Rollihotel“ der Alpen aus. Die barrierefreie Infrastruktur reicht vom Sauna- und Wellnessbereich im Untergeschoss, bis zum obersten Stock und ermöglicht nicht nur einen problemlosen Zugang, sondern auch eine schnelle Evakuierung im Brandfall.
Durch jahrelange Erfahrungen und die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Gäste war Hafele sogar den damaligen Normen und Verordnungen einen Schritt voraus, wie er selbst aufzeigt: „Wir haben dazumal schon ein bisschen weiter gedacht.“ Anschließend erweiterte das Hotel sein Angebot, um auch Menschen mit anderen Einschränkungen anzusprechen, nicht nur diejenigen, die zum (Mono-) Skifahren in die Berge kommen. Allerdings legt Hotelier Hafele großen Wert darauf zu betonen, dass das Hotel in erster Linie ein ganz normales 4-Sterne-Hotel ist, jedoch „ohne Kompromisse barrierefrei.“ Etwa ein Drittel der Zimmer sind auf Rollstuhlfahrende zugeschnitten. Die Mischung und Integration von Familien, Angehörigen, Freund:innen und Gästen mit Einschränkungen ist dem Hotelier besonders wichtig, gerade um nicht nur eine barrierefreie Umgebung, sondern den „Menschen mit Einschränkungen auch einen ganz normalen Urlaub zu bieten,“ so Hafele.
Mit seinem inklusiven Angebot, das der Eigentümer auch heute noch weiter ausbaut, leistet Karl Hafele Pionierarbeit, und viele Gastgebende und Entscheidungstragende der Region folgten seinem Beispiel, holten sich Rat bei Hafele und seiner Familie und gestalteten ihre Einrichtungen ebenso barrierefrei. Vom Café, über die Gletscherbahnen, bis hin zur Kirche wurden viele Freizeit- und Mobilitätsangebote sowie öffentliche Einrichtungen im Kaunertal barrierefrei gestaltet und die Region wurde nicht nur als Skigebiet, sondern auch als ganzjährige Vorreiterdestination für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen bekannt.
Während sich das Kaunertal mithilfe von Hafele und seinem Team zu einem Vorreiter für barrierefreien Tourismus etablierte, erkannte die Region früh auch die Notwendigkeit ökologischer Nachhaltigkeit. Das hat die Erlebnisregion vor allem der ehemaligen Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Tiroler Oberland, Michaela Gasser-Mark, zu verdanken, meint Hafele, „die den Zahn der Zeit erkannt hat“ und das Tal über 17 Jahre konsequent in Richtung Nachhaltigkeit entwickelte. So avancierte das Kaunertal 2017 als Klimawandel-Anpassungsmodellregionen (KLAR!) Kaunergrat zu einer der ersten Regionen dieser Art in Österreich und wurde 2020 zudem zur Pilotregion des „Clean Alpine Region“ Projekts.
Für seine nachhaltige Entwicklung wurde das Kaunertal 2021, als erste österreichische Tourismusregion, von der Welttourismusorganisation (UNWTO) als „Best Tourism Village“ ausgezeichnet. Seit 2022 ist das Skigebiet zudem mit mehreren Photovoltaik (PV)-gestützten Sesselliften ausgestattet, was einen bedeutenden Schritt auf dem angestrebten Weg zur Energieautonomie der Region darstellt. Die Entwicklung des Kaunertals von einem Vorreiter der Barrierefreiheit zu einer beispielhaften Destination für soziale und ökologische Nachhaltigkeit zeigt, wie wichtig es ist, dass Einzelne den Weg bereiten und über die Norm hinausgehen. Damit setzt diese Transformation einen inspirierenden Maßstab für integrativen und umweltbewussten Tourismus, der weit über die Alpen hinausstrahlt.