Wien gilt schon heute als grünste und lebenswerteste Stadt. In Zukunft sollen weniger Asphalt, mehr Grün und das Revival des Grätzls dabei helfen, dass Wien bei den Wienerinnen und Wienern sowie den Touristen gleichermaßen beliebt bleibt. Wir haben mit Doris Schnepf (Green4Cities) und Eugen Antalovsky (Urban Innovation Vienna) über die Zukunft der Stadt im Allgemeinen und Wien im Speziellen gesprochen.
Wien ist die lebenswerteste Stadt der Welt: Die österreichische Bundeshauptstadt nimmt im Ranking 2019 des internationalen Beratungsinstituts Mercer zum 10. Mal in Folge den ersten Platz ein. Weil die Covid-19-Pandemie das tägliche Leben dramatisch und beispiellos verändert, wird Mercer heuer allerdings keine Rangliste publizieren.
Wie sich das Corona-Virus auf die Stadtentwicklung auswirkt, ist heute noch schwer abzusehen. Parallel dazu gibt es aber zahlreiche Trends, die die Zukunft der Städte ganz wesentlich beeinflussen. Wie urbane Zentren wie Wien sowohl für Bewohner als auch Gäste attraktiv bleiben können, verraten im Gespräch mit der Österreich Werbung: Doris Schnepf, CEO des internationalen Kompetenzzentrums Green4Cities und Eugen Antalovsky, Managing Director von Urban Innovation Vienna.
Kein Massentourismus in Wien
Für Antalovsky geht es in Zukunft darum, das Wachstum der Stadt und den Zuwachs ihrer Gäste auch in Zukunft in Einklang zu bringen. Dabei verweist er auf die Visitor Economy Strategie 2025. Damit will die Stadt die Bedürfnisse dieser beiden Gruppen weiter in Einklang bringen und dabei auch die Bevölkerung einbinden „Hier geht es auch um die Frage, wie sich die Tourismuswirtschaft im Alltagsleben widerspiegelt“, bringt Antalovsky ein Beispiel. Wien sei in der glücklichen Lage, nicht unter Overtourism zu leiden. Mit diesem Problem dürfte die österreichische Bundeshauptstadt auch in Zukunft nicht zu kämpfen haben: Die Visitor Economy Strategie 2025 erteilt dem Massentourismus jedenfalls eine ganz klare Absage.
Maßnahmen gegen urbane Hitze Inseln
Sowohl für Besucher als auch Bewohner spielt das Stadtklima eine ganz wesentliche Rolle. In den letzten Jahren bekam Wien, so wie viele andere Städte, auch den Klimawandel in Form von Urbanen Hitze Inseln (UHI) besonders zu spüren. Um die städtische Hitze zu bekämpfen, nennt Antalovsky eine Reihe von Maßnahmen, die die Stadt Wien bereits durchführt: Diese reichen von mehr Bäume und Grünflächen bis hin zu Nebelduschen.
„Tröpferlbad 2.0“ sorgt für kühles Klima
Green4Cities ist ein internationales Kompetenzzentrum für urbane grüne Infrastruktur und versteht sich auch als Experte für das Kühlen von Grün, wie Schnepf. Die CEO von Green4Cities verweist auf das Smart-City-Projekt Tröpferlbad 2.0, das sie gemeinsam mit den Breath Earth Collecitve umsetzt. „Dabei handelt es sich um kühlende Oasen im öffentlichen Raum, die allen Menschen offenstehen“, erklärt Schnepf. In diesen Oasen selbst soll die gefühlte Temperatur 29 Grad Celsius nicht überschreiten; egal wie heiß es draußen ist. „Das schaffen wir mit smarten Technologien, Beschattung, Begrünung und durch ein Design, dass das Tröpferlbad in die Umgebung einbindet“, ergänzt die Expertin. Je ein Prototyp dieser Coolspots entstehen am Esterházypark und am Schlingermarkt. Damit will man das Potenzial technischer und planerischer Umsetzungen für kühlungsoptimierte Stadtfreiräume untersuchen. Der Begriff „Tröpferlbad“ für dieses Projekt ist freilich nicht zufällig gewählt: Für viele Wiener waren die Wiener Volksbäder die einzige Möglichkeit zur Körperreinigung. Aufgrund des oft spärlichen Wasserflusses bekamen diese Einrichtungen schnell den schmeichelhaften Namen Tröpferlbad.
Öffentlicher Freiraum bringt Grätzl zurück
Urbane Hitze Inseln sind freilich nur eine der Herausforderungen für die Städte. Lösungen für gleich mehrere Probleme erwartet sich Green4Cities hingegen von einem aufgelassenen Parkhaus in Wien Ottakring. Das Objekt in der Deinhardsteingasse musste schließen, weil es für SUVs zu klein geworden war. Bis das Gebäude abgerissen wird, dient es nun drei Jahre lang als Labor für die Begrünung der Stadt. Nicht nur die fünf Stockwerke mit ihren 2.500 Quadratmetern Fläche dienen zum Ausprobieren von neuen Ideen. Auch die Fassade und den Raum davor nutzen die Projektbetreiber der Garage Grande für Experimente. So ranken sich etwa gerade Pflanzen wie Kletterkiwi, chinesischer Blauregen und Hopfen an der Fassade hoch. Aus letzterer soll dann ein eigenes Bier – das Deinhardsteiner – entstehen, wie Schnepf verrät. Ihr zufolge können Bauwerksbegrünung und die Aneignung von öffentlichem Freiraum auch das soziale Leben fördern. „Die Dachlandschaften sind in Wien noch nicht sehr verbreitet und mit nur wenig Fantasie lassen sich viele neue Räume vorstellen.“ Sie ist überzeugt, dass sich die Bevölkerung neue Freiräume aneignen möchte und dies auch bereits schon tut – etwa mit Projekten wie „Grätzloase“ oder „Garteln ums Eck“. Der Grätzlgedanke könnte auch neue Impulse für den Stadttourismus bringen, glaubt Schnepf. Frei nach einem Airbnb-Modell könnten Private mit hiesigen Dienstleistern, Gastronomiebetrieben und Hotels kooperieren, um dem Gast einen „Urlaub im Grätzl“ anbieten zu können.
Je mehr Begegnungszonen, desto besser
Von einer Neuverteilung des öffentlichen Raumes spricht auch Antalovsky. Auf die Frage, wie viele Begegnungszonen eine Stadt verträgt, antwortet er mit der simplen Formel „je mehr, desto besser.“ Freilich müsse man sich dabei sehr genau überlegen, welche Straßen sich wieder zurückbauen lassen. Schließlich gelte es auch, den Transport und die Nahversorgung aufrechtzuerhalten. Auch die Frage, wie die Menschen ihren Arbeitsplatz ohne eigenem Auto erreichen können, sei zentral. „Neue Stadtteile kann man so konzipieren, dass die Bewohner nur kurze Wege haben und auch genügend Grünfläche vorhanden ist“, meint der Managing Director von Urban Innovation Vienna.
Selbst die grünste Stadt der Welt muss noch viel lernen
Dank der Donauinsel und des Praters hat Wien bereits jetzt einen recht hohen Anteil an Grünfläche. Die Stadt gilt auch deshalb dem Ranking des Beratungsunternehmens Resonance zufolge als die grünste Stadt der Welt. Allerdings: „Die Grünfläche ist dabei aber nur eines von mehreren Kriterien“, gibt Green4Cities CEO Doris Schnepf zu bedenken. Das Angebot von Öffentlichen Verkehrsmitteln und der Anteil der erneuerbaren Energie würden in die Bewertung ebenfalls einfließen. Eine Herausforderung stellt die ungleiche Verteilung der Grünflächen dar. „Gerade innerhalb des Gürtels gibt es Bezirke mit einem Grünanteil von zwei Prozent“, so Schnepf. Doch gerade dort würde sich auch sehr viel touristisches Leben abspielen. Um in diesen Gebieten mit mehr Grün nachhaltig ein besseres Stadtklima zu schaffen, wären nicht nur Wissen, Hirnschmalz und technische Maßnahmen notwendig, meint Schnepf. Es gelte dabei auch immer, die Bevölkerung einzubinden. So wie das bei der „Garage Grande“ eben gemacht wird.