Wie kann „Overtourism“ identifiziert und Besucherströme sinnvoll gelenkt werden?
Overtourism ist ein Problem, das viele Destinationen – von Großstädten bis hin zu Skigebieten – in unterschiedlichen Ausprägungen betreffen kann. Und durch die Individualität jeder Region, gibt es zwar verschiedene Lösungsansätze, aber keine allumfassende Zauberformel, wie man Herr über das Problem wird.
Ein Beitrag von Birgit Hartmann, Brand Management, ÖW Wien
Am Beginn einer Lösungsstrategie steht eine Analyse der regionalen Tourismuslandschaft, indem man etwa das Tourismuswachstum und Trends beobachtet. Rückschlüsse auf steigenden Tourismus liefern auch Daten des Wasserverbrauchs oder der Müllproduktion – u.U. kann man hier saisonbedingte Peaks feststellen, die in der Lösung besondere Aufmerksamkeit verlangen – etwa im Ressourcenmanagement. Aber auch steigende Mietpreise sollten erfasst und die Meinung der Bevölkerung zur Wohnqualität eingeholt werden. Qualitative Befragungen geben zudem auch Rückschlüsse darüber, ob das Zentrum noch authentisch wahrgenommen wird und ob hiesige Werte aufrechterhalten werden können. Ebenfalls lohnt sich ein Blick in die Natur – denn haben sich Trampelpfade ausgeweitet und heimische Tiere infolgedessen zurückgezogen, besteht Handlungsbedarf.
Aber wie misst man nun Overtourism und wann ist die rote Linie überschritten?
Am besten stellt man die potentiellen Gefahrenquellen von Overtourism grafisch dar, indem man den Betroffenheitsgrad der Region berechnet (bzw. schätzt) und auf einer fünfstufigen Skala einordnet. Durch die grafische Darstellung sieht man auf einen Blick, wo der Schuh drückt und bei welchen Herausforderungen man ansetzen sollte. Bewertet werden:
Barcelona und New York – beide Großstädte sind von Overtourism betroffen - allerdings haben beide Städte andere Schwachstellen. Es gibt also keine Lösung, die für alle Destinationen funktioniert. Einige Regionen haben aber schon eigene Ansätze gefunden, von denen sowohl Die Destination, als auch die Touristen profitieren.
Zeitlich: Um Warteschlangen an den Stoßzeiten zu vermeiden, können Besucher mancherorts schon online oder mithilfe von Apps einen freien Zeitslot buchen, in dem sie die Attraktionen sehen können. Das spart den Gästen Zeit und verringert die Touristendichte an den POIs – was sich auch positiv auf die Qualität des Besuches auswirkt.
Geografisch: Auf Websites – wie etwa der von Venedig – werden Daten über Wartezeiten vor Sehenswürdigkeiten live publiziert. Gäste können so jederzeit den aktuellen Stand abrufen. Durch interaktive Pushnotifications werden zudem Empfehlungen verschickt, wann die Touristen die Attraktion am besten aufsuchen oder welchen POI sie in der Zwischenzeit ansehen können. Die Besucherströme werden digital in Realtime umgelenkt und der Gast fühlt sich durch die Empfehlungen gut serviciert.
POIs entlasten: Um das Stadtzentrum und dessen Sehenswürdigkeiten zu entlasten, kann man künstliche Attraktionspunkte kreieren – ein Extrembeispiel wäre „Disneyland“ in Paris. Einfacher ist es, weiter entfernte Monumente umzubenennen und dadurch psychologisch näher zu rücken: In Amsterdam wurde der 18 km entfernte Strand in „Amsterdam beach“ umbenannt und schon war die Metropole um eine Attraktion reicher. Natürlich muss auch die Mobilität dorthin gewährleistet werden.
Unterkünfte: Damit die Gäste sich nicht auf Hotels in wenigen Vierteln konzentrieren, soll beim Buchen bereits auf Hotels in anderen Gegenden aufmerksam gemacht werden. Die äußeren Bezirke werden so auch Anziehungspunkte für neue Infrastrukturen – und neue Attraktionspunkte und Trendviertel können entstehen.
Preiskategorien an POIs: Online gebuchte Zeitslots können auch an ein Preissystem gekoppelt werden: So ist der Eintritt zu beliebten Besuchszeiten - wie bei Sonnenauf- und -untergang – höher, als am Nachmittag. Der Gast entscheidet, wann er kommt und wieviel er dafür ausgeben möchte. Die Idee entstand erstmals im Burj Khalifa, das aus Sicherheitsgründen nicht so viele Besucher auf einmal fassen kann. Das System findet aber auch anderenorts großen Anklang, selbst in Restaurants.
Taxen und Preise erhöhen: In Barcelona wurden die Taxen verfünffacht. Dabei kommt ein Teil der Einnahmen den primären Empfängern der negativen Effekte (Bevölkerung, Infrastrukturen, etc.) zugute. Auch in Paris fließen die Einnahmen wieder in die Attraktionen zurück: Durch einen 50 %igen Anstieg der Ticketpreise wird der Eifelturm gerade für 300 Mio € saniert.
Limitierter Zugang: Filmdrehorte ziehen Touristen magisch an. Das Maya Beach Bay in Thailand – bekannt aus „The beach“ mit Leonardo Di Caprio – wurde durch die Massen allerdings so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass es nun auf der „UNESCO Danger List“ steht. Durch neue Regulationen wird der Strand nun phasenweise geschlossen und die Länge des Aufenthalts der Touristen limitiert.
Auch Dubrovnik kämpft seit „Games of Thrones“ mit mehr als 10.000 Besuchern pro Tag. Künftig sollen nur mehr ein paar tausend Gäste in das historische Zentrum dürfen. Die Stadt kontrolliert die Zutritte mittels Datatracking und Kameras.
Durch Trackingbänder könnte man den Zutritt zu POIs auf einen einmaligen Besuch limitieren. Auch so können Besucherströme gelenkt werden.
Eine Lösung für „Verkehrsprobleme“ hat Amsterdam gefunden, indem es im Zentrum „Beer-Biking“ kurzerhand verboten hat. Durch die „iamsterdam“-App werden den Touristen aber viele Alternativprogramme, Gewinnspiele und Rabatte geboten, sodass sie aus dem gesamten Programm schöpfen können.
Problematisch ist es, wenn nur einzelne Akteure vom Tourismus profitieren, aber die Destinationen oder die Bevölkerung, die unter den Touristenmassen leiden, nichts davon haben. Darum hat Neuseeland den „Tourism Infrastructure Fund“ ins Leben gerufen: Pro Jahr werden jenen Infrastrukturen und Gemeinden 25 Mio$ zur Verfügung gestellt, die zwar besonders hohen Druck haben, aber dennoch nur wenig Einnahmen generieren. Durch den Fund soll die Qualität in stark frequentierten Gegenden weiterhin hoch gehalten und die Bevölkerung von den Massen entlasten werden.
Um die Lösungsstrategien nachhaltig und ganzheitlich umsetzen zu können, braucht es eine Vernetzung – eine Art „Smart City“. Die Destinationen müssen dazu die Datenplattformen und Schnittstelle zu den einzelnen Stakeholdern darstellen. Anstatt in „Silos“ zu denken, ist es effektiver, sämtliche Daten zusammenzulegen und als gesamte Region davon zu profitieren. (Mehr dazu im Blog „Die Rolle der DMO“)
Quellen:
Tackling „Overtourism“ at destinations: Best practice solutions from setting quotas to pricing to high tech
Speaker: Gloria Guevara Manzo, World Travel & Tourism Council
Margaux Constantin, McKinsey
Overtourism: Status quo, best practices from european tourism destinationsDiskussion von 3 anderen – Nachschauen
Speaker: Prof. Dr. Christian Laesser, University of St.Gallen
Prof. Dr. Harald Pechlaner, Catholic University of Eichstätt-Ingolstadt
Prof. Dr. Jürgen Schmude, Ludwig-Maximilians-University München
Smart Destinations: Digital technologies for managing the flow of visitors – approaches and experiences away from large cities
Speaker: Bastian Kneissl, MapCase Media GmbH
Thorsten Rudolph, Hochschwarzwald Tourismus
Gerals Swarat, Fraunhofer IESE